Sepp Schmidt: Zur Entwicklung des sudetendeutschen Buch- und Verlagswesens.
In: Die Wünschelrute. Jahrbüchlein der „Heimatbildung“ für sudetendeutsche Heimatarbeit und Volksbildung auf das Jahr 1926. Reichenberg in Böhmen: Sudetendeutscher Verlag Franz Kraus, 1926, S. 57–62.
Wenn ich als sudetendeutscher Verlagsbuchhändler auf die Bedeutung unseres Geisteslebens hinweisen will und insbesondere die Wechselbeziehungen mit dem Buchhandel und Verlag herausgreife, so tue ich es in der Erkenntnis einer Notwendigkeit: diese wichtige völkische Zusammenarbeit, welche noch in der Meinung allzu vieler Landsleute nebensächliche, weil angeblich nicht praktische Bedeutung hat, hüben und drüben ins rechte Licht zu rücken.
Wie die Verbundenheit mit der Heimat, die Abhängigkeit des Menschen von den Lebensumständen unleugbar besteht und die rassische Veranlagung die Grundlage aller gesellschaftlichen Erscheinungen bildet, so zeigt das Geistesleben, so sind die Werke unserer Dichter und Denker, Künstler und Musiker Blüten des Volkstums, deren Werden sich nicht befehlen läßt, deren Duft wir aber behüten und schätzen können, deren Pracht wir uns erfreuen. Die Schöpfungen unserer Großen sind aber auch berufen, unserem Stamm die notwendige geistige Einheit zu geben, die sich schließlich in erfolgreichem Abwehrkampf und in kraftvollen Taten zeigen soll, trotz aller Vielgestaltigkeit unserer Veranlagung. Wir brauchen aber nicht nur Führer, welche vorangehen, sondern auch zu Führende, welche überzeugt Gefolgschaft leisten, fern vom blinden Gehorsam. Was ist besser geeignet, Gemeinsinn und Gemeinschaftsgeist zu erzeugen, als große einheitliche Strömungen, die die Herzen erfassen und auf das gemeinsame Handeln bestimmend wirken?
Der Weg zum Herzen des Volkes führt in tausenderlei Richtungen, kein Schöpferischer findet ihn heutzutage allein durch sich. Das Buch, das Bild, das Notenwerk hilft ihm dabei und trägt seine Erkenntnisse durch die Verteilergilden in tausend Kanäle und in abertausend Seelen, selbst über Grenzpfähle hinweg. Wir Buchhändler und Verleger sind also bestimmt, vielen Freude zu bringen, die meisten zu überzeugen und durch Verbreitung gemeinsamer Strömungen schließlich die einheitliche Tat erstehen zu lassen: fürwahr eine große Aufgabe und ein hohes Ziel.
Um beiden gerecht zu werden, ist zweifelsohne unsere richtige Einordnung im Getriebe des Volks- und Wirtschaftslebens erforderlich. Das Volk der Dichter und Denker muß auch nach deren Werken greifen, freilich nach freier Wahl. Der Begriff des wirtschaftlich „Unnötigen“ muß viele Meilen hinter das lebensfördernde Buch verlegt werden, und zwar bei allen Schichten, nicht nur bei einem Teil der Gebildeten. Denn wie sollen denn sonst die Wirkungen erreicht werden, welche man vom Verlagsbuchhandel zu erwarten nur allzu leicht geneigt ist?
Betrachten wir daraufhin unsere besonderen sudetendeutschen Verhältnisse. Der Weltkrieg bzw. sein Ausgang schuf auf einmal ein gemeinsames sudetendeutsches Schicksal. Unsere Volksstämme, die sich im Rahmen des alten Österreich wenig oder gar nicht gekannt hatte, sollten jetzt plötzlich auf Tod und Leben miteinander verbunden sein. Die darauffolgenden Ereignisse sind jedem schmerzlich genug bekannt, als daß ich sie hier zu wiederholen brauchte. Sagen wir es nur ehrlich, es wurde damals so ziemlich alles verpaßt, was in dem allgemeinen neuen Werden durch zielbewußtes, geschlossenes Vorgehen hätte erreicht werden können in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Gewiß, es waren überall Ansätze und guter Wille vorhanden, die Ideen erwiesen sich aber als noch nicht genügend tragfähig, die erste Begeisterung erlosch nur allzu rasch in vielen, Vorurteile, Angst und Habgier trennten uns immer mehr voneinander. Die wir alle die Jahre hindurch die Schärfe des Kampfes um unseren Bestand als Volk empfunden haben, wissen nur zu gut, daß alle stolzen Luftschlösser leider nur solche geblieben sind. Damit will ich nicht sagen, daß wir Grund zum Verzagen haben. Entdeckten wir doch das Tiefste und Köstlichste, das Teuerste und ewig Grüne für uns: die Heimat. Die ist aber auch ein Prüfstein, die muß erworben werden, gleichwohl sie jeder Mensch besitzt. Hat doch jedes Wesen einen Lebensraum, der es entstehen ließ, aus dem Urkräfte in ihm hochsteigen, sofern er sich ihrer nicht in blinder Abkehr verschließt. Auf diese Wurzeln unseres Lebens haben wir uns besonnen, von hier aus bauen wir unter Führung Dr. Emil Lehmanns unser Sudetendeutschland auf. Mag es ein Werk sein, das zu seiner schönsten Frucht erst unter unseren Kindern und Enkeln reift, es verspricht feste Dauer und entscheidet damit über seinen Wert: Staaten und Völker können vergehen, aber heimattreue Menschen werden obsiegen, wie der Tag über die Nacht. Es ist ein unleugbares Verdienst der Jugendbewegung, den verschütteten Weg zum Quell des Lebens mit freigemacht zu haben. Mit Freuden können wir schon in unseren Tagen große helle Scharen wandern sehen, das Ziel zu erreichen: die Heimat zu erleben, in ihr Wurzel zu schlagen und sie lebensvoll zu gestalten.
Darnach will ich die Verlage erwähnen, wie sie den Aufgaben aus dieser Grundstimmung heraus gerecht zu werden suchten. Ich will sie allerdings nicht nach ihrer wirtschaftlichen Größe, sondern nach ihren Verdiensten, nach ihrem Plan anführen, wenn auch der Erfolg von dem Bekenntnis der sudetendeutschen Öffentlichkeit dazu abhängig blieb. Ebenso kommt es mir im Rahmen dieses Aufsatzes nicht auf lückenlose Aufzählung an.
Bald nach den Umsturztagen wagte sich der Böhmerland-Verlag Eger mit den Böhmerlandblättern, mit seinen Flugschriften und dem Jahrbuch heraus: der Ausdruck des Kulturwillens zur deutschen Erneuerung, der erste Baustein für die sudetendeutsche Zukunft. Wir wurden uns unserer Schicksalsgemeinschaft bewußt. Ein Kreis von gediegenen Mitarbeitern und verständigen Freunden ließ den Verlag rasch ansteigen, selbst bei der Unzulänglichkeit der Mittel. Wann hätten denn die Deutschen einmal großzügig die Träger und Mittler ihres Geisteslebens unterstützt und gefördert? Trotz mancher volkstümlichen Wendung in Singwerken und Bildkarten wurden weitere Schichten unseres Volkes von der Bewegung nicht erfaßt, auch der Streiter für die gute Sache wurden weniger, viele stellten sich abseits. Es mangelte begreiflicherweise auch nicht an äußerem Druck, so daß die Erkenntnis von der geringen Absatzfähigkeit den Ausschlag gab für den Entschluß, in einem reichsdeutschen Verlagsort ein freieres Schaffen und ein weitergreifendes Wirken zu erlangen, im Herzen doch derselbe bleibend. Das vergesse man nicht bei den Werken: Sudetendeutsches Jahrbuch 1925, Leppa, Königsbrief, Wolkan, Sudetendeutsche Literaturgeschichte, sowie allen übrigen, die in letzter Zeit erschienen oder erst angekündigt sind. Der Drei Tannen-Verlag Sternberg in Mähren, die sudetendeutsche Auslieferungsstelle des Verlages Johannes Stauda, Augsburg, will die alte enge Verbindung wieder aufleben lassen und weiter pflegen. Wem der Ernst der Zeit nicht Teilnahme gebeut, wird auch durch emsige Werbung nicht zu gewinnen sein. Wir brauchen Helfer, die wissen, wem sie zum Siege verhelfen.
Ebenso früh zog der Sudetendeutsche Verlag Franz Kraus in Reichenberg seine Kreise, die im Mittelpunkt stets die Heimat liegen haben, in allen ihren Belangen. Professor Adolf Hauffens „Beiträge zur deutschböhmischen Volkskunde“, ferner die „Forschungen zur deutschen Kunstgeschichte Böhmens“ von Professor Krattner sowie die „Bibliothek deutscher Schriftsteller aus Böhmen“, herausgegeben von Prof. Sauer, und schließlich nicht zu vergessen Zeitschriften und Flugschriften in reicher Zahl und mit vortrefflicher Gediegenheit und Gründlichkeit machen uns Sudetendeutschen alle Ehre. Durch die Monatsschrift „Heimatbildung“ gewann er die Führung beim Aufbau des sudetendeutschen Volksbildungswesens auf Grund der neuen Volksbildungsgesetze. Durch die Schriften und Sonderhefte des Heimatbildungskreises hat er zahlreiche wertvolle Anregungen ausgestreut. Es wäre zu wünschen, daß sie unser Volk so herzlich aufnähme, als sie geboten werden. Dann wäre es wohl schon besser um unsere Einigkeit bestellt, denn wer das Leben im Umkreis der Heimatwelt meistert, fühlt sich als Teil des Ganzen und ordnet sich dessen Notwendigkeiten unter.
Wieder auf anderen Gebieten liegt die Stärke der Verlage Gebr. Stiepel in Reichenberg und Ed. Strache in Warnsdorf. Außer schöngeistigen Werken überhaupt pflegen beide in weitem Rahmen auch die Dichtung der Zeit und sind vielfach sudetendeutsch und heimisch eingestellt. Sie vermitteln infolge ihrer Bedeutung wertvolle Bindungen innerhalb des ganzen großen deutschen Kulturkreises. Daneben erscheinen bei Stiepel in dankenswerter Weise die neuen Gesetzsammlungen und juristischen Schriften, nicht zu vergessen der modernsten Schulbücher, während Strache mit der Herausgabe einer Musikaliensammlung (Edition Strache) ein verheißungsvolles Gebiet beschreitet, das Förderung verdient.
Rein auf Erziehung und Unterricht sind ferner die Verlag A. Haase in Prag und Paul Sollors Nachfolger in Reichenberg eingestellt und arbeiten auch seit geraumer Zeit in engster Verbindung miteinander. Zu einer der größten Anstalten hat sich in wenigen Jahren auch der Nordböhmische Verlag in Reichenberg entwickelt. Die hervorragende Wichtigkeit ihres Schaffens ist wohl einleuchtend. An dem gleichen Erfolg nahmen auch die zahlreichen anderen Schulbücherverlage teil, welche ich hier der knappen Berichterstattung wegen nicht namentlich hervorheben kann.
Desgleichen bleibt es mir leider versagt, das viele Gute und Schöne anzuführen, das in einzelnen Landschaften und Orten durch heimatliche Verlagsanstalten auf verschiedenen Gebieten geschaffen und geboten wird. Eine derartige Zusammenstellung bleibe der Zukunft vorbehalten. Sie hätte außer der Vermittlerrolle noch den unschätzbaren Vorteil, die gegenseitige Kenntnis voneinander zu erweitern und dadurch manche Doppelarbeit zu verhindern. Im großen Stile ist die neugegründete Bücherei der Deutschen in Reichenberg ein solches Sammelbecken, wo für das Sudetendeutschtum eine Nationalbibliothek entsteht.
Damit sind wir schon bei den Forderungen angelangt, die eine günstige Fortentwicklung unseres Buch- und Verlagswesens gebieterisch erheischt. Obwohl wir ein Dreimillionenvolk sind, beweist es die Erfahrung, daß wir große eigene Verlage derzeit nur zur Not tragen können, weil bedeutende Volksteile fern bleiben. Diesen Ausfall können wir nur durch Vereinheitlichung wettmachen und durch straffes Zusammenfassen der Kräfte. Wir müssen uns klar werden, daß wir uns keine Kraftvergeudung mehr leisten können, daß bei aller Freizügigkeit des Einzelnen der Gesamtplan, für den sich alle verpflichtet halten, nicht gestört werden darf. Mithelfen kann da jeder Sudetendeutsche durch seine Bücherauswahl nach richtiger Einschätzung des Wertes. Das wirklich gute Buch muß dadurch emporgetragen werden, das unbedeutende wird darnach von selbst zum Verschwinden gelangen. Alle Einsichtigen mögen sich in den Dienst dieser Aufklärung stellen, auf dem Posten und in der Richtung, wo sie wirken. Buchkäufer und Buchvermittler. Es ist einfach ein Gebot der Klugheit, unnötige Herausgebungen zu vermeiden, weil wir sonst zu schwach sind, uns die notwendigen zu leisten, denn schließlich belasten alle Erscheinungen dieselben Taschen: es soll aber das Wesen des trefflichen Werkes für die Beurteilung und den Kauf entscheidend sein, nicht das erhöhte Anbot geldkräftiger Vertriebsstellen. Wir müssen uns tunlichst von der herrschenden Überproduktion im Deutschen Reich fern halten, denn wir haben mehr zu verlieren.
Werke und Bücher müssen dem Leben dienen in seinen tausendfältigen Äußerungen und Erscheinungen, sie müssen seine große Gesetzmäßigkeit aufdecken, sie müssen auch zur ewigen Linie der Volkswerdung und Volksgestaltung streben. Wenn die Lebenswahrheiten dichterisch verklärt durch inneres Schauen gewonnen und in vollendeter Form dargereicht werden, genügt es dem schöpferischen Geist nicht nur zu vielen zu sprechen, sondern auch von vielen verstanden zu werden. Wenn wir diesen strengen Maßstab anlegen, wird sich für unsere Tage ergeben, daß schon zuviel geschrieben, gedruckt und gelesen wird. Aber zuviel des Wertvollen, Bedeutenden? Da liegt eben der Angelpunkt: das richtige Buch im rechten Augenblick kann uns Menschen einen unbezahlbaren Dienst leisten, es schenkt uns seine Seele.
Bei aller Kritik wollen wir Grenzdeutschen auch darauf achten, was überhaupt aus der Zeit heraus und mit den zur Verfügung stehenden Kräften geschaffen werden kann. Die Freiheit der Kunst soll nicht angegriffen werden, wenn es auch für uns eine Lebensnotwendigkeit bedeutet, alles Trennende fern zu halten. Echte Heimatkünstler werden auch in zeitlosen Werken das Erleben ihrer Seelen in der Haft der Gegenwart anschaulich werden lassen.