Das sudetendeutsche Buchwesen.
In: Pilsner Tagblatt, 22.9.1926, S. 2.
„28. Říjen“ [28. Oktober] veröffentlicht eine Reihe von Daten über das sudetendeutsche Buchwesen und sucht damit zu beweisen, daß alle Klagen der Sudetendeutschen über die Benachteiligung und Unterdrückung ihrer kulturellen Bestrebungen durch die Tschechen, bezw. den Staat hinfällig sind. Das Blatt vergißt dabei nur, daß die Sudetendeutschen den Aufschwung ihres Buchwesens zum größten Teil ihrer eigenen Tatkraft und Opferwilligkeit zu verdanken haben. „Říjen“ führt u.a. folgendes an: Im Jahre 1920 gab es 458 deutsche Gemeindebüchereien, deren Zahl bis zum Jahre 1925 auf fast 3000 stieg. Die Zahl ihrer Bände betrug insgesamt 1,694.600, die der Entlehnungen 2,965.681. Die Einnahmen machten mehr als 3 Millionen K aus. Die Zahl der qualifizierten Buchwarte übersteigt 2000. Diese sind im Verband der deutschen Buchwarte organisiert, der die Zeitschrift „Buch und Volk“ herausgibt.
In Reichenberg wurde im Jahre 1924 die große „Deutsche Bücherei“ eröffnet, welche die Grundlage für die künftige Zentral-Nationalbibliothek des gesamten Deutschtums der Tschechoslowakei sein soll. Die Verteilung geeigneter Bücher an die deutschen Gemeindebüchereien organisiert seit dem Jahre 1920 die „Deutsche Volksbücherei“ in Leitmeritz, die in der kurzen Zeit ihres Bestehens weiter über 200.000 Bücher verteilt hat. Für die Volksbildung wird u.a. auch durch Herausgabe einer Reihe von Volkskalendern gesorgt, deren mehr als 20 in der Republik erscheinen. Mit der Herausgabe von deutschen Büchern befassen sich neben zahlreichen Vereinen (z.B. der Adalbert Stifter-Gesellschaft) zahlreiche deutsche Verlagsanstalten (z.B. Sudetendeutscher Verlag in Reichenberg, Drei Tannen-Verlag in Sternberg, Schulwissenschaftlicher Verlag in Prag, die Firmen Stiepel, Runge und Sollors in Reichenberg, Moldavia in Budweis, Wia in Teplitz-Schönau, Lerch in Marienbad, Strache und Opitz in Warnsdorf, Bartosch in Nikolsburg, Steinbrenner (sic) in Winterberg, Czerny in Landskron, Burschovsky in Hohenstadt und viele andere.) Weiter gibt es eine lange Reihe deutscher Lesevereine und öffentlicher Büchereien, von denen die studentischen „Germania“, „Akademia“ und „Lese- und Redehalle“ in Prag die bekanntesten sind. „Říjen“ schließt seinen Bericht mit den Worten: „Aus dem Angeführten ist klar, daß in dieser Hinsicht für die deutsche Minderheit in der Tschechoslowakei gesorgt ist. (Aber von wem? – Die Red.). Und daß alle Klagen der deutschen Chauvinisten über kulturelle Unterdrückung nichts anderes sind als ein Propaganda-Manöver zur Täuschung der nichtinformierten Öffentlichkeit.“
– Das eine muß allerdings zugegeben werden, daß durch das tschsl. Gemeindebüchereigesetz nicht bloß das tschechische, sondern auch das deutsche Büchereiwesen in organisatorischer Hinsicht gefördert wurde; aber in materieller Beziehung werden die deutschen Gemeindebüchereien von deutschen Geldern erhalten und ausgestaltet. Was der Staat für das deutsche Buchwesen tut, ist herzlich wenig. Preise und Subventionen z.B. hat er nur für tschechische Schriftsteller. Ist das auch schon ein Verdienst, wenn der Staat großmütig die Entwicklung des sudetendeutschen Buchwesens duldet? Und ist es nicht einfach lächerlich, wenn die Tschechen – wie z.B. „Říjen“ – sich sogar schon darauf etwas einbilden? Nein, der Staat wird für das deutsche Buchwesen noch sehr viel mehr tun müssen, wenn er den Ruhm für sich in Anspruch nehmen will, daß er die sudetendeutsche Kultur wirklich fördert.